Online Krankmeldung ohne ärztliche Untersuchung = keine Lohnfortfortzahlung
Das Arbeitsgericht Berlin hat entschieden, dass es sich bei einem über den Online-Dienst au-schein.de ausgestellten Attest ohne vorherige Untersuchung nicht um eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelt und nicht für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit geeignet ist.
Sachverhalt
Der Kläger war als Sicherheitsmitarbeiter bei der Beklagten beschäftigt und übermittelte für den Zeitraum vom 26. bis zum 30. August 2020 sowie vom 5. bis zum 9. September 2020 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die von einer in Hamburg ansässigen Gynäkologin ausgestellt worden waren. Die Ärztin stellte die Bescheinigungen anhand der vom Kläger online auf der Internetseite au-schein.de gemachten Angaben aus. Zwischen ihr und dem Kläger fand weder ein persönlicher noch ein telefonischer Kontakt statt.
Auf der Internetseite wird gegen Zahlung einer Gebühr die Übermittlung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angeboten. Dafür können Nutzer zwischen Grunderkrankungen auswählen und müssen im Anschluss vorformulierte Fragen beantworten, wobei vorgegebene Antwortmöglichkeiten und Symptome zur Auswahl angeboten werden. Die ärztliche Anamnese beruht im Regelfall auf diesen Angaben.
Der Kläger machte Ansprüche auf Entgeltfortzahlung geltend, die die Beklagte mit der Begründung ablehnte, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nur durch einen Online-Arzt ausgestellt worden seien und sie an der Arbeitsunfähigkeit zweifle. Er behauptete, in den streitgegenständlichen Zeiträumen arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein. Die Beklagte meinte, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert, da sie online ausgestellt wurden und keine ärztliche Untersuchung vorausging.
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht hat die Klage als überwiegend unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG.
Der Kläger habe seine bestrittene Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen. Von einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könne nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1976 nicht ausgegangen werden, wenn der Ausstellung keine Untersuchung vorausging und mangels Patientenbeziehung auch eine Ferndiagnose ausscheidet.
Die vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien nicht für den Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit geeignet, da keine Untersuchung des Klägers stattgefunden hat und die ausstellende Ärztin weder ein persönliches noch ein telefonisches Gespräch mit dem Kläger geführt hat. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den derzeit geltenden Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung aufgrund der COVID-19-Pandemie. Die Ausnahmeregelung verdeutliche vielmehr, dass nicht einmal in dieser Ausnahmesituation ein geringerer persönlicher Kontakt als ein Telefonat zulässig sein soll.
Der Kläger habe den Beweis für seine Arbeitsunfähigkeit nicht auf andere Weise geführt. Bei dem von ihm angebotenen Zeugenbeweis habe es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis gehandelt. Es sei nicht klar gewesen, wie die benannten Zeugen Aussagen zur Arbeitsunfähigkeit des Klägers hätten treffen können.
Bemerkung
Das Urteil zum Umgang mit über Online-Dienste ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bestätigt, dass Bescheinigungen, denen keine persönliche ärztliche Untersuchung vorangeht, kein Beweiswert zukommen kann.
Für den Arbeitgeber besteht in der Praxis allerdings die Schwierigkeit, herauszufinden, ob es sich bei der vom Arbeitnehmer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung um eine Online-AUB handelt. Indiz darfür können eine fehlende Vertragsarztnummer auf der Bescheinigung oder eine große Entfernung zwischen Wohnort des Arbeitnehmers oder dem Arbeitsort und dem Ort der Praxis des ausstellenden Arztes sein.